Gymnocalycium bodenbenderianum [inkl. der früher als G. riojense bezeichneten Arten]

Guten Abend Gast. Schön, dass Sie mal hereinschauen! Einen angenehmen Aufenthalt wünscht das "Sukkulentenforum"-Team.
  • Sehr alte Namen, welche durchaus berechtigt sind, wären verloren, z. B. ssp. piltziorum, welche Jahrzehnte als gute Art lief. Was ist mit der ssp. vertongenii, welche als einzige in einer Höhe von über 2500 m vorkommt? Was ist mit der ssp. occultum? Diese Namen wären verschwunden und das möchte man nun auch nicht.

    Ganz ehrlich und ganz hart: Das ist kein Grund um einen Art oder Unterart-Status aufrecht zu erhalten! Namen sind Schall und Rauch - im Gegensatz zur natürlichen Variabilität. Ich bin weder Taxonom noch Biologe und werde mich deshalb hüten, mich weit aus dem Fenster zu lehnen aber diese Argumente sind schon oft sehr dünn... Liebhaber anderer Pflanzenfamilien werden schreiend davonlaufen, wenn sie sehen was bei Kakteen alles einen Artrang erhalten hat...
    Aber eben: Wer wird´s wagen? Aufräumen macht selten Spaß.

    "Man vermeide, wenn man sich schon mit Kakteen befassen will, jede Art von Humor und Toleranz." - Glossen-Autor aculeatus in der Stachelpost 1969

  • Das ist kein Grund um einen Art oder Unterart-Status aufrecht zu erhalten!

    Liebster Matthias, ich könnte Dich nun in eine schöne Grundsatzdiskussion verwickeln: Was ist denn nun für dich ein Grund, eine Art aufrecht zu erhalten? Das möchte ich aber nicht. Wie du schon so schön sagtest: Namen sind Schall und Rauch...
    Ich tendiere mittlerweile dazu, bei ungenauen Namen nurmehr den Standort/Fundort aufzuschreiben inkl. Feldnummer. Da weiß ich ganz genau, um welche Pflanze es sich handelt. Namen brauch ich da keinen. Hier im Forum möchte ich mich einfach an schönen Bildern erfreuen und nicht schon wieder in taxonomische Streitereien versteigen. Ich schließe mich Norbert an: Ich finde die Pflanzen einfach schön!

    Gruß Stefan

  • Hallo Stefan,


    hast du dich jetzt eventuell ein bissl angegriffen gefühlt? Das war wirklich in keinster Weise meine Intention!
    Klar, die Thematik an sich ist eine generelle Grundsatzdiskussion, wo man nie wirklich bei einer unklaren Art bleiben kann ohne auszuschweifen. Tja, was ist der Grund für mich eine Art aufrecht zu erhalten? Dafür gibt´s halt keine klare Definition, die Natur samt ihrer Evolution lässt sich nunmal schwer in Schubladen pressen. Ein Kaktus aus Höhenlagen im Gebirge sieht einfach anders aus als die gleiche Art in Tieflagen... Deswegen sollte man sowas halt nie als Artdefinition herziehen.


    Früher waren die Blüten das A & O bei Gattungs- und Artzuordnungen. Heute weiß man, dass sich wohl kaum etwas so schnell neuen Gegebenheiten anpassen kann wie die Blüte. Deswegen gibt´s ja mittlerweile eine Matucana ohne zygomorphe Kolibriblüten weil es einfach für die Pflanzen überlebenswichtig ist, auf neue Gegebenheiten im Kreis der Bestäuber möglichst schnell zu reagieren. Früher wäre so ein Kaktus aus Prinzip nie zu Matucana gestellt worden und wenn man nicht mehr weiter weiß, dann gibt´s halt eine neue, notfalls monotypische, Gattung. Mit diesen Erblasten dürfen sich die Kakteenliebhaber und -fachleute nun mal rumschlagen.


    Ein weiteres, schönes Beispiel ist für mich die Gattung Lophophora: Wenn man sich da die Namensschilder in den Sammlungen anguckt, da kann es einem schwindlig werden! Für mich ist diese Gattung, mit ihrem extrem großen Verbreitungsgebiet, monotypisch. Oder Turbinicarpus. Da reichen auch locker fünf oder sechs Arten... Hoffentlich steinigt mich nun niemand für diese Worte...


    Insofern ist deine Vorgehensweise im Zweifelsfall absolut richtig. :thumbup:
    So, und nun genug dazu gelabert. Wenn meine Gymnocalycien blühen, dann werde ich die Fotos wieder unter G. riojense einstellen - weil´s auf dem Namensschild steht. Völlig inkonsequent also. ;)


    Letztendlich ging es mir nur darum, dass verschwindende alte Namen oder auch dunkle Dornenfüße niemals als Argument für einen Artrang dienen dürfen, wenn nicht noch mindestens 10 weitere, kräftige Abweichungen auch dafür sprechen.

    "Man vermeide, wenn man sich schon mit Kakteen befassen will, jede Art von Humor und Toleranz." - Glossen-Autor aculeatus in der Stachelpost 1969

  • Hier liegt ein gewaltiges Problem vor, was noch viel Arbeit erfordert


    ............ist das nicht schon seit Jahrzehnten in der ganzen Gattung so?! :wacko:

    Sukkulentenfieber ist eine schwere Krankheit! Wer sich infiziert hat, ist nicht zu retten!
    We do not forgive!! We do not forget!!
    Tom

  • ist das nicht schon seit Jahrzehnten in der ganzen Gattung so?!

    Eben, wie gesagt, nicht nur in dieser Gattung... Leider. ;(

    "Man vermeide, wenn man sich schon mit Kakteen befassen will, jede Art von Humor und Toleranz." - Glossen-Autor aculeatus in der Stachelpost 1969

  • Hallo Stefan,


    herzlichen Dank für die Informationen die du von der Gymno-Tagung der AGG mitgebracht hast. :thumbup:


    ....Erkennbar immer am dunklen Fuß der Dornen.

    Dieses u. a. erwähnte Bestimmungsmerkmal lässt sich zumindest sehr leicht überprüfen.
    Bei nächster Gelegenheit werde ich mal meine G. bodenbenderianum, bzw. G. riojense anhand dieser Merkmale vergleichen und darüber berichten.



    Ich tendiere mittlerweile dazu, bei ungenauen Namen nurmehr den Standort/Fundort aufzuschreiben inkl. Feldnummer.

    Das halte ich ebenfalls für sehr sinnvoll.


    Auf alle Fälle gilt aber auch für mich der Grundsatz: Die Pflanzen sind einfach schön.

    Gruß Markus

  • Hallo,


    ich möchte da Stefan unterstützen - die Unterarten gibt es ja nun wirklich und das "Problem" der notwendigen Umbenennungen besteht.
    Die Taxonomie ist ja nichts weiter als der Versuch des Menschen ähnliche Dinge in eine Schublade zu stecken.
    Der eine sagt "Besteck" und steckt Messer, Gabel und Löffel in eine Schublade und der andere wählt dafür halt drei Schubladen. Wer hat nun Recht?
    Bei all diesen Diskussionen ist es aber unerläßlich, immer wieder auf die Originalpublikationen zurückzugreifen.
    Deshalb braucht Markus auch nicht auf die Dornen seiner G. bodenbenderianum zu schauen, denn die "Dornen mit dem dunklen Fuß" finden sich nicht in der Erstbeschreibung von G. bodenbenderianum!
    D.h. das Unterscheidungsmerkmal ist zwar existent, klärt aber nicht, ob es sich um G. bodenbenderianum oder G.riojense handelt.
    Ich fand die Diskussion in Eugendorf richtig gut und auch, dass sich die AGG mit der Problematik so intensiv beschäftigt hat.
    Herzliche Grüße
    Nobby

  • hast du dich jetzt eventuell ein bissl angegriffen gefühlt?

    In keinster Weise! Nun aber der Vollständigkeit halber:
    Neben den dunklen Dornenfüßen haben die Pflanzen der Sierra Ulapes natürlich auch noch andere Merkmale: Zu einem eine dicke Rübenwurzel. 3/4 der Pflanze wächst demnach unterirdisch. Pflanzen aus dem zentralen La Rioja haben eine teils faserige, teils rübenartige Wurzel. Die lange Blütenröhre und die demnach kurzen Blütenblätter sind auch eine Unterscheidung zu den Pflanzen weiter nördlich. Und zu guter Letzt die unterschiedlichen Samen: Samen des Aggregates der Sierra de Ulapes sind deutlich größer als die ihrer Verwandten im Norden; sie haben kleinere Papillen auf der Samenoberfläche (der Testa) und einen stark nach außen gewölbten, hufeisenförmigen Hilumrand. All' diese Merkmale veranlaßten Hans Till und die AGG, die Pflanzen der Sierra de Ulapes als G. bodenbenderianum zu deuten. In der Tat, wie Nobby schrieb, fehlen diese Merkmale aber in der Erstbeschreibung von Alwin Berger. Deshalb folgen manche der Meinung von Hunt, Charles, Kiesling und Co., dass der gesamte Komplex G. bodenbenderianum sei. Erstbeschrieben 1929 von besagtem Herrn Berger. Die Art G. riojense, erstbeschrieben von Hans Till 1991 ist nur ein Synonym (und alle ihre Subspezies und Varietäten), demnach jünger und gem. ICBN einzuziehen. Das Fazit der Tagung in Eugendorf war, bitte keine voreiligen Schlüsse zu ziehen (siehe Kiesling) und bitte nochmalige, genaue Studien mit diesem Komplex zu betreiben. Erst dann, nach Auswertung aller Daten, ggf. nomenklatorisch vorzugehen und evtl. G. riojense einzuziehen oder es zu lassen.
    In der Zwischenzeit kann natürlich ein jeder seine Pflanzen nennen, wie er möchte: Wie wär's z.B. mit G. riojanum? Oder lariojense? Dies sind Namen, die Fric gebrauchte, bevor er sich auf G. riojense einigte. Beschrieben hat er diese Pflanzen aber nie. Oder Echinocactus bodenbenderianus? Der Name der Erstbeschreibung. Oder eine Neukreation von mir: Gymnocalycium ulapense nom. prov.! Aber alle diese Namen haben eins gemeinsam: Schöne Gymnos aus La Rioja, Cordoba, San Luis und San Juan.

    Gruß Stefan

  • Na das ist ja dann doch gleich mal eine ganze Latte an teils elementaren Unterscheidungskriterien. Der dunkle Dornenfuß ist also nur das, was optisch auf dem ersten Blick am einfachsten ist aber taxonomisch gesehen eher kaum bis keine Priorität hat. Verstehe.


    Das alte Lied der alten Beschreibungen halt. Klar wird hier der Name festgelegt aber leider sind die Beschreibungen an sich meist sehr unvollständig. Soll kein Vorwurf an die alten Feldläufer sein, heute weiß man halt deutlich mehr als damals. Wäre ja auch schlimm, wenn es nicht so wäre. Herr Berger und Co. wussten damals noch nichts von DNA-Analysen, etc. Heute muss man sich aber halt an den neuesten Wissensstand halten und eine möglichst saubere Ordnung bringen. Ob Messer, Löffel und Gabeln in einer Schublade oder in drei verschiedenen sortiert sind, macht da nicht den großen Unterschied. Wichtig ist, dass man nicht alles kreuz und quer in eine oder mehrere Schubladen wirft! Wobei ich mittlerweile gestehen muss, dass ich immer mehr und mehr der Fan von EINER aufgeräumten Schublade bin. Wie zuhause in der Küche halt auch.


    Ich bin für die Schublade G. riobenderianum! ;) In der darf sich dann jeder selbst aussuchen, wie er seine Pflanzen einsortiert.


    Übrigens, kleine Abschweifung am Rande: Ich möchte als Ausländer nicht deutsch lernen müssen! DAS Messer, DIE Gabel und DER Löffel. Plural: DIE Messer, DIE GabelN und DIE Löffel. Alles kreuz und quer ohne Sinn und Verstand in einer Schublade. Oh Mann! Respekt an alle, die das erfolgreich gemeistert haben.

    "Man vermeide, wenn man sich schon mit Kakteen befassen will, jede Art von Humor und Toleranz." - Glossen-Autor aculeatus in der Stachelpost 1969

  • Hallo liebe Gymnolizisten,
    es ist schön zu lesen, dass ihr euch alle viele Gedanken um Gymnocalycium macht!
    Die Tagung in Eugendorf war auch in diesem Jahr wieder einmal, dank der AGG, hervorragend organisiert. Das Tagungsthema G. bodenbenderianum ist sehr gut diskutiert worden und es hat zu einem neuen Kenntnisstand geführt!
    Studien der Literatur, sowie die Reiseaufzeichnungen von Hosseus ermöglichen es uns heute die Art G. bodenbenderianum eindeutiger zu identifizieren. Die Fakten sollten in diesem Fall den Interpretationen der recht dürftigen Erstbeschreibungen überwiegen. Die Gattung Gymnocalycium ist mit ihrem großen Verbreitungsgebiet und der damit verbundenen Variabilität teilweise schwer zu greifen. Das gilt leider auch für G. bodenbenderianum. Es gibt zwar ein gutes Foto von einer der erstbeschriebenen Pflanzen, aber offensichtlich verschiedene Auffassungen, wo die Heimat dieses Taxons zu suchen ist. Eine klassische Diskussionssackgasse.


    Also zu den Fakten:
    - Hosseus (Er hat die Pflanzen gefunden!) gibt 1939 als Fundort die Formation Paganza (La Rioja, bei Paganzo) an. (Dort wächst G. riojense sensu Till)


    - Hosseus dokumentierte als Begleitvegetation in höheren Lagen G. hossei und Denmoza rhodacantha. (Diese Taxon wachsen auch heute noch dort)


    - Hosseus machte gute Reiseaufzeichnungen und er war bis zur Erstbeschreibung von G. bodenbenderienum nicht in dem Gebiet um Ambil (G. bodenbenderianum sensu Till) gewesen. Es gibt dort auch keine Denmoza oder G. hossei.


    Wir haben also heute eindeutige Belege, dass G. bodenbenderianum in dem Gebiet gefunden wurde, wo Hans Till G. riojense neotypifiziert hat. Es handelt sich hier also um eine Doppelbeschreibung von G. bodenbenderianum.
    Persönlich finde ich das sehr schade, da sich Hans Till sehr viel Arbeit gemacht und sich viel mit den Pflanzen beschäftigt hat, um G. riojense in seiner gesamten Verbreitung darzustellen. Will man nun seiner Arbeit gerecht werden, muss man die subspec. von G. riojense umtaxanomieren und zu G. bodenbenderianum stellen. Will man es sich einfach machen, dann kann man R. Kiesling folgen, der alles ohne Bewertung, geschweige denn einer Begründung, ins Synonym von G. bodenbenderianum gestellt hat.


    Ein weiteres Problem sind nun die Pflanzen, die Hans Till und Gert Neuhuber als G. bodenbenderianum bezeichnet haben.
    Da der Name G. bodenbenderianum schon für die Pflanzen in La Rioja verwendet wurde, stehen die Pflanzen um Ambil bzw. Ulapes ohne Namen da. (Das macht denen natürlich nichts...)
    Einig waren sich die Diskussionsteilnehmer in Eugendorf (ja, auch das kommt schon mal vor), dass sich die Pflanzen hier um Ambil von den G. bodenbenderianum in La Rioja anhand von Samen-, Blüten- und Körpermerkmalen gut unterscheiden lassen.


    Also. da ist scheinbar noch viel Arbeit zu erledigen, fangt schon mal an...


    Liebe Grüße und frohe Ostern euch allen,
    Reiner

  • Und hier die zumindest halbwegs geöffnete Blüte, des in Beitrag 11 gezeigten Gymnocalycium bodenbenderianum P206.



    Das Foto ist vom 25.05.14

    Gruß Markus

  • Sie weiß zu überzeugen! :thumbup:

    Sukkulentenfieber ist eine schwere Krankheit! Wer sich infiziert hat, ist nicht zu retten!
    We do not forgive!! We do not forget!!
    Tom

  • Also. da ist scheinbar noch viel Arbeit zu erledigen, fangt schon mal an...


    Vergleicht man die in Beitrag 31, 34 und 35 als Gymnocalycium bodenbenderianum vorgestellten Pflanzen miteinander, wird sehr schnell deutlich, dass die oben zitierte Aussage von Reiner, dadurch umso mehr an Bedeutung gewinnt.

    Gruß Markus

  • Na, bei den Gymnos ist ja richtig was los, schön! Urs

    Quallen haben 650 Millionen Jahre ohne Gehirn überlebt. Das gibt vielen Menschen Hoffnung.

  • In Deinen Kästen ist ja der Blütenwahn ausgebrochen! 8)

    Sukkulentenfieber ist eine schwere Krankheit! Wer sich infiziert hat, ist nicht zu retten!
    We do not forgive!! We do not forget!!
    Tom